Wessen Welt … Künstler in Aktion (2018)

Gespräch mit Ryan Harvey (USA) , Calum Baird (Schottland) und Heinz Ratz (Deutschland)

Moderation: Michael Kleff

Festival Musik und Politik, 24.02.2018, WABE Berlin

Bericht von Cornelia Bruhn

Was heißt es heute, politische Lieder zu schreiben? Können Lieder heute noch etwas bewegen? Und wie sehen die politischen Lieder von heute stilistisch aus? Über diese Fragen unterhielt sich Michael Kleff mit den Künstlern Calum Baird (Schottland), Ryan Harvey (USA) und Heinz Ratz (Deutschland). Gedolmetscht wurde das Gespräch durch Frauke Pietsch.

v.l.n.r.: Calum Baird, Frauke Pietsch, Ryan Harvey, Michael Kleff, Heinz Ratz

v.l.n.r.: Calum Baird, Frauke Pietsch, Ryan Harvey, Michael Kleff, Heinz Ratz

Global zu denken, jedoch vor Ort zu handeln („think global, act local“) ist ein Grundsatz der Protestsongbewegung seit Pete Seeger, so Kleff. Inspiriert dieser Leitsatz auch die Künstler von heute noch? Ryan Harvey und Calum Baird bejahten dies. Für Harvey gehöre das Motto zu seinen Leitsätzen, seit er 1999/2000 Aktivist geworden sei. Gemeinsam mit dem Duo Shireen (NL) & Kareem Samara (Palästina) spiele er besonders gern in kleineren Orten, um dort ihre globalen Botschaften zu vermitteln. Calum Baird verwies in seinem Fall auf das Edinburgh Fringe Festival. Dort spiele er schon seit vielen Jahren. Ihm gefalle das Konzept, internationale KünstlerInnen in Edinburgh zusammen zu bringen. Bairds persönliche politische Botschaften seien der Antifaschismus und Antirassismus. In seiner Musik thematisiere er daher, wie wichtig der Respekt zwischen verschiedenen (auch politischen) Kulturen sei. Heinz Ratz schilderte seine Wahrnehmung etwas anders: für ihn sei entscheidend, ob er selbst von einer Problematik berührt sei. Dann erst könne er sie in Kunst umwandeln und sehen, ob noch andere davon berührt würden. Erst wenn viele Menschen mit Kunst in Resonanz gingen, entstünde eine globale Bewegung. Kunst sei für ihn daher immer auch ein Wechselverhältnis von individueller Wahrnehmung der Welt und globalen Stimmungslagen, welche auf die Künstler zurückwirkten. Die Kultur sei häufig kraftvoller als die Politik und widerstandsfähiger gegen politische Vereinnahmung, als sich häufig bewusst gemacht würde.  Die Musik werde dann zum weltanschaulichen Mittel, um sich einzumischen.

Alle drei Künstler erzählten von ganz unterschiedlichen Protestformen. Ryan Harvey begegne die Protesthaltung seines Publikums häufig bei individuellen Gesprächen nach den Konzerten. Dabei entstünden Kooperationen und Ideen für weitere Veranstaltungen. Calum Baird erzählte von zwei Aktionen in Edinburgh, an denen er als Künstler beteiligt war. Die erste sei eine Spendenaktion im Rahmen des Festivals „We shall overcome“ gewesen, bei welchem die KünstlerInnen Kleidung, Essen und andere Dinge für Bedürftige sammelten. Ein Teil des Geldes spenden die KünstlerInnen jedes Jahr der „Orgreave Kampagne für Wahrheit und Gerechtigkeit“ (“Orgreave Truth and Justice Campaign“), welche bis heute Gerechtigkeit für den Bergarbeiterstreik von 1984 fordere. Ein zweites Projekt umschloss zwei Kampagnen: zum einen die „Künstler für Mietenkontrolle“ („artists for rent control“), zum anderen die „Kampagne für Wohnungsmiete“ („living rent campaign“), um gegen die schwindelerregenden Mietpreise in Edinburgh zu demonstrieren. Besonders habe ihn gefreut, dass die Protestaktionen direkt vor der Adam Smith-Statue im Stadtzentrum stattgefunden habe. Heinz Ratz erzählte von den Konzerten des Projekts Büro für Offensivkultur, das er seit 2017 gemeinsam mit Konstantin Wecker aufbaue. Allein im Jahr 2017 seien 170 eintrittsfreie Konzerte dank ca. 20.000 UnterstützerInnen möglich gewesen. Besonders hob Heinz Ratz zwei Konzerte in Ostsachsen hervor. Dort habe die ansässige Bevölkerung das Netzwerk zuhilfe gerufen, um zwei Rechtsrock-Konzerten etwas entgegen zu setzen. Mit zwei Konzerten sei es den KünstlerInnen gelungen, je eine Woche vor den Neonazi-Konzerten zwei lebensfrohe Feste zu feiern.

Kleff stellte daraufhin die Frage an die Künstler, was eigentlich ein politisches Lied sei, und ob der Inhalt dafür immer explizit politisch sein müsse. Heinz Ratz erzählt von einer Episode mit Sarah Connor, welche sich bei ihm gemeldet habe, um bei Konzerten mit und für Flüchtlingsfrauen mitzuwirken. Sie habe keine politischen Lieder gesungen, sei dort vor allem als Mensch sichtbar geworden. Damit habe sie, in Ratz Verständnis, durchaus politisch agiert. Ein Lied müsse seiner Meinung nach nicht explizit politische Inhalte aufweisen, – es werde politisch, wenn die MusikerInnen als Menschen dahinter stünden. In Ryan Harveys Verständnis ist alles politisch – was wir tun und was wir nicht tun, worüber wir singen oder nicht singen. Auch ein Liebeslied sei in seinen Augen politisch, denn man könne es unterschiedlich gestalten: belehrend, aufmunternd oder gefüllt von Stereotypen. In Liedern zu vermitteln, dass es in Ordnung sei, zu lieben wen man will, ist für ihn eine politische Aufgabe. Gerade für ihn als US-Bürger sei es wichtig, Standpunkt zu beziehen, da er aus einem Land komme, das andere Länder besetzt und einen Teil seiner Bevölkerung in Armut hält. Sich nicht zu verhalten, hieße, zum Mitläufer zu werden. Auch für Calum Baird ist kein Song unpolitisch, Politik stecke hinter jedem Lied, das man schreibe und allem, was man tut. Kultur werde dabei immer von der führenden Klasse dominiert, zugleich zeigten aber auch die Entwicklungen der letzten Jahre, dass es ein resistentes Moment in der Kultur gebe: sie bleibe auf gewisse Weise auch immer gleich, egal wie schnell  sich beispielsweise die Wirtschaft entwickle. Kultur helfe dabei, die auch bitteren Realitäten aufzuzeigen. Er persönlich wähle in seinen Songs lieber den indirekten Weg und pirsche sich poetisch und ein wenig gerissen an die Themen heran.

Nun seien alle drei Künstler viel in internationalen Projekten vernetzt. Kleff fragte, inwieweit dies den Horizont der drei erweitert habe. Ryan Harvey erzählte von seiner Zusammenarbeit mit Shireen und Kareem als internationales Trio. Ihr gemeinsames Projekt sei es, aktuelle politische Probleme zu thematisieren und zwar nicht auf unterhaltende Weise, sondern „herausfordernd, lehrend, ernährend, heilend“. Das sei auch der Anspruch des Punk Rocks, aus dem Harvey komme. Wichtig sei ihm, eine Beziehung zu den ZuhörerInnen aufzubauen und Dinge zu thematisieren, jedoch ohne den Anspruch zu erheben, alles zu wissen. Heinz Ratz schilderte sein Projekt mit Geflüchteten, bei welchem zwei Dinge für ihn besonders gewesen seien: Erstens habe er seine eigene Musik den Geflüchteten zuliebe zurückgestellt und zweitens langwierige psychologische Arbeit geleistet, bis diese bereit gewesen waren, wieder Musik zu machen und sich auf einer Bühne zu zeigen. Die Musik habe dadurch etwas sehrkraftvolles und die Geflüchteten dadurch viele HelferInnen gewonnen.

Zum Schluss fragte Michael Kleff, bewusst etwas provokant, ob Bewegungen heute nicht auch neue Hymnen benötigten. Auf den Anti-Trump-Demonstationen in den USA würden schließlich immer noch die Klassiker der Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome“ und „This land is your land“ gesungen. Calumn Baird antwortete mit einem klaren Nein, man könne durchaus weiter traditionelle, sogar bürgerliche Elemente nutzen und die Songs von Bob Dylan und anderen weiterhin singen. Das wichtigste sei für ihn, dabei die eigene konfliktvolle Geschichte in die Songs einzubinden. Heinz Ratz meinte, eine Hymne entstehe immer dann, wenn das gefühlte oder reale Bedrohungsmoment groß genug würde, wie dies etwa in Argentinien bei Mercedes Sosa der Fall gewesen sei. An einem solchen Punkt stünden wir zumindest in Deutschland noch nicht. Der Einwurf von Kleff an Harvey, dass in den USA der kritische Punkt schon längst überschritten sein müsste, wiegte letzterer ab. Er würde das oft gefragt, aber es seien nun einmal nicht Hunderttausende, die bereit seien, das Weiße Haus zu stürmen. Ryan sehe das Problem, eine Hymne zu finden, vor allem darin, dass es eine Übereinstimmung darin zu geben scheine, dass diese von einer berühmten Person geschrieben werden müsse. Im richtigen Moment ins Internet gestellt, könne dabei eine Hymne heute viel schneller bekannt und verbreitet werden als früher. Ryan schloss mit einem Sprichwort, das in der linken afroamerikanischen Szene kursiere: „Wir brauchen viele Martins, wir brauchen viele Malcoms, wir müssen eine Generation von Martins und Malcoms ins Leben rufen.“ (“We need many Martins, we need many Malcoms, we need to create a generation of Martins and Malcoms.”) So empfinde es auch Harvey: Wir brauchen nicht nur einen Song oder einen Fürsprecher, sondern eine ganze Menge von ihnen.

So unterschiedlich die individuellen Zugänge der Künstler zum politischen Lied sind, ob alles politisch gedacht wird wie bei Calum und Ryan oder es, wie Ratz, eher auf den Aspekt des Mensch-Seins ankommt, der die Musik politisch macht, – Die Diskussionsrunde zeigte eindrucksvoll, wo Aktivisten mithilfe politischer Lieder direkt ansetzen und wie sie politische, menschenwürdige und lebensbejahende Inhalte transportieren. Das gesungene Wort als Mittel des Sich-Einmischens und Streitens im besten Sinne scheint trotz seines relativen Nischendaseins nichts an seiner kommunikativen und gesellschafts-gestaltenden Kraft eingebüßt zu haben. Calum Baird, Ryan Harvey und Heinz Ratz jedenfalls geben ein lebendiges Beispiel dafür.