Sängerkunde (2018)

Gespräche mit DDR-Liedermachern nach der »Wende«

Buch-Vorschau, mit Michael Kleff und Hans-Eckardt Wenzel

Festival Musik und Politik, 23.02.2018, WABE Berlin

Bericht von Cornelia Bruhn

Michael Kleff und Hans-Eckardt Wenzel gaben Einblick in ihr Buchprojekt der besonderen Art: Zwischen 1990 und 1992 führte Kleff Interviews mit zahlreichen DDR-KünstlerInnnen. Dabei entstand eine vielseitige Materialsammlung, welche vorraussichtlich im Frühjahr 2019 erscheinen wird. Mittels Originaltönen stellten Kleff und Wenzel eine kleine Auswahl der Interviews vor. Sie alle erzählen ganz unterschiedliche Geschichten über die DDR, die politischen Ereignisse von 1989/90, den Wiedervereinigungsprozess und individuelle Perspektiven auf die Zukunft:

Jens Quandt

Jens Quandt

Jens Quandt, letzter Leiter des Oktober-Klubs, sprach über den schmalen Grad, auf dem sich der Klub in den letzten Jahren befunden habe. Einerseits habe er durchaus den „Hymnus“ auf die Partei und die DDR angestimmt, auf der anderen Seite aber auch kritische Distanz zu artikulieren gesucht. Dagegen vermittelte Barbara Thalheim in sehr deutlichen Worten ihre Erfahrung von Diskriminierung und Ausgrenzung und forderte, mit dieser Seite des DDR-Kulturbetriebes offen umzugehen und die Verantwortlichen zu benennen. Während Gerhard Gundermann resigniert und besorgt zu beobachten meinte, dass sich gerade ein Land geschlossen aufgab, formulierte Matthias Görnandt zuversichtlich, dass eine gesamtdeutsche Identität nach und nach aus der west- und der ostdeutschen erwachsen würde. Stefan Körbel betitelte die DDR-Identität zwar als in gewisser Hinsicht „absurd“, betonte jedoch auch die integrierenden Aspekte des Lebens in der DDR und wehrte sich gegen ein Bild dieses Landes, nach welchem alle Menschen nur unterdrückt gewesen seien. Das Gefühl des Fallens, wenn alles, was als sicher geglaubt war, ins Schwanken gerät, beschrieb Gisela Oechelhaeuser. Sie sprach außerdem über die Brüche in den Biographien, wenn sich Einzelne bewusst von ihrer Rolle in der DDR abwandten und versuchen würden „aus der Geschichte auszutreten“. Im Gespräch mit Peter Ensikat dagegen herrschte Optimismus vor. Zwar habe auch er das Gefühl, in einem anderen Land aufzuwachen ohne umzuziehen sowie ein unbestimmtes Gefühl des Identitätsverlustes, gleichzeitig sehe er erleichtert der Zukunft entgegen, da er sich von der Bewegungslosigkeit der späten DDR befreit fühle und die Chance zum Neuanfang als etwas Heilsames begreife. In einem letzten Beitrag schilderte Bettina Wegner ihre damalige Wahrnehmung der Mentalitätsunterschiede zwischen Ost und West, die sie vor allem in einem Gefühl der Unverbindlichkeit im Miteinander in der Bundesrepublik im Unterschied zur DDR charakterisierte.

Michael Kleff, Hans-Eckardt Wenzel

Michael Kleff, Hans-Eckardt Wenzel

Im anschließenden Gespräch beschrieben Wenzel und Kleff die besondere Situation, in welcher die Interviews entstanden waren. Aus dem Westteil Deutschlands kommend, gab Michael Kleff zu, dass er kaum auf die Interviews vorbereitet gewesen und mit großer Naivität, dafür aber auch Unbefangenheit an die Gespräche herangegangen sei. Wenzel gab zu, dass die Gespräche mit einem Westdeutschen zunächst Befangenheit in ihm ausgelöst hätten. Dann jedoch sah er einen großen Gewinn darin, da er dadurch gezwungen gewesen sei, eine viel klarere Sprache zu finden für das, was er erlebt und gefühlt habe. Für Wenzel sei die Athmosphäre zu jener Zeit vor allem von Resignation und verschütteten Hoffnungen geprägt gewesen, da Kunst-Machen in der DDR für ihn auch bedeutet habe, sich für alles, was in der Welt passierte, verantwortlich zu fühlen. Dies habe seiner Meinung nach zur Überanstrengung und Überschätzung der Kunst im Osten geführt und sei der Unterschied zum Westteil Deutschlands gewesen, wo sich die KünstlerInnen eher an dem Konflikt zwischen Ästhetik und Kommerzialität abarbeiteten.

Michael Kleff und Hans-Eckardt Wenzel leisten mit ihrer Interviewsammlung einen wertvollen Beitrag zur Dokumentation der Zeit des deutschen Einigungsprozesses. Die Gespräche mit den KünstlerInnen geben sehr persönliche Einblicke in deren individuelle Wahrnehmungen der politischen Ereignisse sowie ost-, west- und gesamtdeutscher Identitäten.